Das Geburtshaus Grete Weils steht unweit des idyllischen Malerwinkels

Geliebte Heimat, trotz allem – Grete Weil am Tegernsee

Das Geburtshaus Grete Weils steht unweit des idyllischen Malerwinkels. Foto: IW

Tegernseer LiteraTour

Die Tegernseer LiteraTour Nr. 7 führt auf den Spuren der Fotografin und preisgekrönten jüdischen Schriftstellerin Grete Weil durch Rottach-Egern. Hier stehen noch immer ihr Geburts- und das Elternhaus, hier ist auch ihr Urnengrab. Den Holocaust überlebte sie, versteckt, in Amsterdam. 1947 kam sie nach Deutschland zurück und schrieb „gegen das Vergessen“.

Rottach-Egern war der Geburts-, Ferien- und Heiratsort der Fotografin und preisgekrönten deutschen Schriftstellerin Grete Weil (1906-1999). Sie hat das Tegernseer Tal über alles geliebt und als ihre Heimat betrachtet. Erst 1980, bereits 74-jährig, erfuhr sie Anerkennung für ihr Schaffen und gilt heute als wichtigste deutschsprachige jüdische Schriftstellerin. 2021 erschien die Neuauflage ihres wichtigsten Romans „Tramhalte Beethovenstraat“.

Neue Aufmerksamkeit für Künstlerinnen

Eine der neuen zwölf Tegernseer LiteraTouren führt interessierte Spaziergänger auf Grete Weils Spuren durch Rottach-Egern. Es wird auch Zeit. Am Südufer des Tegernsees werden zahlreiche männliche Künstler von Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer über Kiem Pauli bis Leo Slezak gewürdigt – die Frauen sind bisher noch unterrepräsentiert. Dabei haben sie eine ebenso wichtige Rolle gespielt und bekommen nun mit den Literaturspaziergängen neue Aufmerksamkeit.

Vor der Linse Emil Ganghofers

Die Tour beginnt am Geburtshaus der späteren Fotografin und Schriftstellerin in der Ganghoferstraße 1, wo sie am 18. Juli 1906 als Margarethe Dispeker zur Welt kam. Das Haus gehörte dem damaligen Fotografen Emil Ganghofer, Bruder des Schriftstellers Ludwig Ganghofer, der auch die kleine Grete fotografierte. Diese erste Station wird anhand literarischer, autobiografischer Erinnerungen der Schriftstellerin vorgestellt.

Die kleine Margarete Dispeker, fotografiert von Emil Ganghofer in seinem Fotostudio in ihrem Geburtshaus
Die kleine Margarete Dispeker, fotografiert von Emil Ganghofer in dessen Fotostudio in Egern. Foto: Monacensia München

Von dort geht es zum Seehotel Malerwinkel, dem damaligen Wohnhaus des Heldentenors der Wiener Oper Leo Slezak, mit dem die Familie Dispeker befreundet war. ‚Onkel Leo‘ war die Stimme von Grete Weils Kindheit und Jugend, er musizierte regelmäßig am Geburtstag der Mutter mit ihr. Weiter geht der Spaziergang über die Fürstenstraße in den Pfarrer-Kronast-Weg zum Elternhaus Villa Dispeker. Der Vater hatte das Grundstück anlässlich der Geburt seiner Tochter erworben. Es diente der Familie, die in München eine großbürgerliche Wohnung hatte, als Landsitz. An dieser Station wird aus dem Leben der liberal-fortschrittlich jüdischen Familie erzählt, in der Grete aufwuchs, und von den Künstlern und Intellektuellen, die bei den Dispekers ein- und ausgingen. Wir erfahren von ihrer musikalischen Prägung und den Wanderungen in die Tegernseer Bergwelt ebenso wie von den ersten Schreibversuchen als Jugendliche bis hin zu ihrem Studium der Germanistik.

Grete Weil fotografiert Ehrenstein und Beckmann

Über den Unnaweg und die Ulrich-Stöckl-Straße geht es weiter bis zum Rathaus von Rottach-Egern, wo Grete Dispeker am 7. Juli 1932 heiratete und fortan Grete Weil hieß. Ihr Mann Edgar Weil, ein promovierter Literat und Philosoph, arbeitete als Dramaturg bei den Münchener Kammerspielen. Auch er war jüdischer Abstammung, wie die Dispekers. An dieser Station wird anhand literarischer Zeugnisse vom Antisemitismus in Deutschland und am Tegernsee erzählt, als deren Folge Grete Weil Ende 1935 ihrem Mann ins Exil nach Amsterdam folgte. Dort arbeitete sie als Fotografin und lichtete unter anderem den Schriftsteller Albert Ehrenstein und den Maler Max Beckmann ab.

Im Widerstand

Die Arbeit im „Jüdischen Rat“ schützte sie zunächst vor Deportation. 1943 war sie Mitbegründerin der Widerstandsgruppe „Hollandgruppe Freies Deutschland“. Es war das Jahr, in dem sie in einem Versteck untertauchen musste, wo sie das Schreiben wieder aufnahm und den Holocaust überlebte. Kurz zuvor gelang es ihr noch, die Mutter vom Tegernsee nach Holland zu schleußen, nachdem der Vater in Rottach gestorben war. Auch sie überlebte im Versteck. Edgar Weil wurde im KZ ermordet.

Max Mohr, jüdischer Schriftsteller und Arzt in Wolfsgrub
Max Mohr, jüdischer Schriftsteller und Arzt in Wolfsgrub. Foto: Monacensia München

Grete Weil und Max Mohr

Weiter führt der literarische Spaziergang vom Rathaus bis zur Wolfsgrub. Dort lebte der jüdische Arzt und Schriftsteller Max Mohr, den nicht nur eine enge Freundschaft mit dem englischen Romancier H.D. Lawrence verband, sondern seit den 1920er Jahren auch mit Grete Weil. Auch Max Mohr war jüdischer Abstammung, er emigrierte 1936 nach Shanghai. Grete Weil hielt bis zu ihrem Tod den Kontakt zu dessen Enkel, dem Filmemacher Nicholas Humbert.

Grete Weils elterlicher Landsitz am Tegernsee: Villa Dispeker
In Grete Weils elterlichem Landsitz, der Villa Dispeker, gingen zahlreiche Künstler und Intellektuelle ein und aus. Foto: Monacensia München

Nachdem Grete Weil 1947 als Widerstandskämpferin anerkannt wurde und einen niederländischen Pass erhielt, kehrte sie im gleichen Jahr endgültig nach Deutschland zurück. Von Wolfsgrub führt der Spaziergang noch einmal zurück zum Elternhaus Villa Dispeker, wo von Grete Weils Rückkehr nach zwölfjährigem Exil in den Niederlanden erzählt wird. Sie besuchte ihr Elternhaus gemeinsam mit Jugendfreund Walter Jokisch, der ihr zweiter Ehemann wurde. Die Villa war zwischenzeitlich ein Kinderheim, im Jahr 1956 verkaufte es Grete Weil und lebte mit Walter Jokisch zunächst in Darmstadt, später in München.

Grete Weil
Grete Weil lebte bis zu ihrem Tod in München, besuchte aber immer wieder den Tegernsee. Foto: Monacensia München

Anerkennung erst spät erfahren

Bis zu ihrem Lebensende blieb es ihr erklärtes Ziel, in ihrer Heimat und in deutscher Sprache „gegen das Vergessen anzuschreiben – mit aller Liebe, allem Vermögen, in zäher Verbissenheit“. Erst ab den 1980er Jahren, als Deutschland sich mit der eigenen Vergangenheit wirklich auseinanderzusetzen begann, erhielt die Schriftstellerin Anerkennung für ihr Schaffen mit zahlreichen Preisen und Ehrungen, unter anderem dem Bayerischen Verdienstorden. Der Spaziergang endet auf dem Friedhof in der Kißlingerstraße 41, wo Grete Weils Urnengrab liegt.

Lesetipp: LiteraTouren zwischen See und Bergkulisse 

Die Tegernseer LiteraTouren lassen sich eigenständig von zwölf Startpunkten im Tegernseer Tal aus gehen. Einfach den QR-Code auf dem jeweiligen Startschild scannen und dem digitalen Wegbegleiter folgen.

Alle Informationen zu den zwölf Literatur-Spaziergängen finden Sie auf der Webseite des Projektes TELITO. Dort befindet sich auch der ausführliche literarische Spaziergang „Grete Weil“, entwickelt von der promovierten Literaturwissenschaftlerin Ingvild Richardsen.

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