Waitzinger Keller

Ein Abschied in Gleichnissen

Der Vorhang schließt sich wieder, Foto: Isabella Krobisch

Vortrag in Miesbach

Das Kulturzentrum Waitzinger Keller stellt bis auf weiteres seinen Spielbetrieb ein. Die letzten Besucher erleben mit Hans-Günther Kaufmann eine inspirierende Reise um die halbe Welt.

Es ist keine vier Wochen her, dass das Team vom Miesbacher Kulturamt ein Füllhorn an Kultur präsentierte und sich auf einen regen Spielbetrieb mit Bühnengrößen aus nah und fern einstellte. Verordnungen von Bundes- und Landesregierung, die Theater als „Freizeitrichtungen“ deklarieren, untersagen ab 2. November coronabedingt für zunächst vier Wochen den Veranstaltungsbetrieb. Das Kulturamt Miesbach hat sich jedoch entschlossen, aufgrund der fehlenden Planungssicherheit bis Jahresende keine Kulturveranstaltungen mehr durchzuführen. Ironie des Schicksals: Die im Haus befindliche Volkshochschule gilt als Bildungseinrichtung und darf ihr Kursangebot, wenn auch eingeschränkt, fortsetzen.

Culinaria
Verwaister Tisch im Culinariagarten, Foto: Isabella Krobisch

Das von Christian Maß und Margreth Nirschl gepachtete Restaurant „Culinaria“ indes wird für mehrere Monate schließen, weil die Gastronomie von einem kompletten Lockdown betroffen ist. Zufall oder Fügung? Den letzten Auftritt vor der Hausschließung bestritt am 30. Oktober der renommierte Miesbacher Fotograf Hans Günther Kaufmann. „Ich habe früh reisen und die Fülle der Schöpfung erfahren dürfen“. Es ist erst eine Woche her, dass er von einer ausgedehnten Spanien- und Frankreich-Reise zurückkehrte. Die 38 Besucher erleben einen Abend voller Gleichnisse.

Hans-Günther Kaufmann
Hans-Günther Kaufmann beim Vortrag, Foto: Petra Kurbjuhn

Hans-Günther Kaufmann glaubt an das Gespräch

In Wort und Bild erzählt Hans-Günther Kaufmann von inspirierenden Stätten, unter anderem entlang von Pilgerwegen, und stellt fest, „wie ich früher reiste, das gibt es nicht mehr, Corona hat es verändert“. Je weiter er reist umso mehr drängt sich ihm die Frage auf, „was ist mir wirklich wichtig“. So eindringlich seine Bilder sind, so tiefgründig sind auch seine persönlichen Betrachtungen dazu, die 2021 als Buch im St. Benno Verlag erscheinen werden. Im Bezug auf die sozialen Medien, die ihm auf der ganzen Welt begegnen, fällt der Satz „es gibt kein Publikum mehr, weil alle auf der Bühne stehen wollen“. Umso mehr glaubt Kaufmann an die Zukunft des persönlichen Gesprächs, des Briefes und der Wartezeit, die mit der Zustellung verbunden ist.

Hans-Günther Kaufmann
Johannes vor dem „Rufer“ an der Innbrücke, Foto: Hans-Günther Kaufmann

Seine Bilder-Reise untermalt Hans-Günther Kaufmann durch mehrere Textpassagen. Besonders bewegend – die Betrachtungen zu seinem Sohn Johannes, den er vor dem „Rufer“ an der Innbrücke fotografiert hat, die wir mit vollem Inhalt wiedergeben:

„Ohne Worte viel zu sagen.
Johannes, 33, ist geistig behindert, das Jüngste unserer drei Kinder lebt bei uns. Und, freilich – er behindert auch. Johannes hat viel verändert im „normalen“ Leben. Wir hätten uns einen Gesunden gewünscht, doch wenn dem so nicht ist – wie damit umgehen? Nutzwert und Radius sind beschränkt, seine Ansprüche ziemlich „normal“.

„Die Kinder sind aus dem Haus“– wird es bei uns nicht geben. Über die Behinderung von Johannes will ich nicht schreiben, erkenne aber eine Parallele zu Corona: Die große Behinderung unserer Zeit. Corona behindert uns alle, schränkt uns ein. Wir alle sind jetzt „Behinderte“. Mit dieser Behinderung müssen wir leben! Wie?

Die Überlegung, Johannes in eine Einrichtung zu geben, haben wir nie in Erwägung gezogen. Es gab und gibt vernünftige Argumente, die für ein Heim sprechen, aber keine emotionalen – bei uns nicht. „Alles kann, wer liebt“ (in Abwandlung zu Markus 9, 23 „alles kann, wer glaubt). Liebe kann vielleicht nicht alles, aber mehr als ihr zugetraut wird. Liebe lässt sich auch nicht im Internet bestellen – frei Haus, aber wir können uns auf sie einlassen und ihr vertrauen, uns ihr anvertrauen. Deswegen schreibe ich über Johannes.

Das Bild zeigt Johannes vor dem „Rufer“ an der Innbrücke „Hol über“ galt dem Fährmann. Johannes ruft auf seine Art dem Fährmann zu „hol mich rüber“. Nachdem er nicht in unsere, in die als normal bezeichnete Welt kann, muss ich mich in seine Welt – übersetzen – lassen. Der Fährmann bin ich, das Boot heißt Liebe, rudern tun wir beide. Will sagen: Johannes hat ohne Worte viel zu sagen, wie wohltuend! Denn die Welt ist voller Worte, die nun wirklich nichts sagen… Kommunikation über Empathie – wir sagen uns ohne Worte viel. Das Bild zeigt Empfindung – habe ihm gesagt, dass hinter ihm ein Rufer… er hat’s verstanden und mit seinen Augen sagt er es! Wir sollten die „Behinderung“, die uns Corona auferlegt, nutzen: weniger reden und empathischer – die Welt, Gefühle, Dich, mich, uns wahrnehmen…“

Hans-Günther Kaufmann zeigte außerdem einen Trailer mit dem Titel „Es war einmal in Bayern“, den er beim Bayerischen Fernsehen eingereicht hat. Er zeigt das herrliche Oberbayern, wie wir es gewöhnt sind – und wie es sich während des Lockdowns im Frühjahr präsentierte.

Lesetipp: Lichtwandern – im Gespräch über die Schönheit

Nach den Eindrücken, die er 2007 auf einer mehrwöchigen Visitationsreise mit dem damaligen Benediktiner-Abt Notker Wolf durch Amerika, Afrika und Indien unternahm, kehrten die Bildergeschichten wieder in den Landkreis Miesbach zurück.

Hans-Günther Kaufmann
Impression aus der Videoinstallation mit Bildern rund um Wilparting, Foto: Hans-Günther Kaufmann

Eine monumentale Videoinstallation, unterlegt mit Tönen von Hubert von Goisern, zeigte zum krönenden Abschluss eine Fülle an magischen Orten, aufgenommen in einem Radius von nur fünf Kilometern rund um Wilparting. Ein Mysterium, das dem dankbaren Publikum Kraft spendete für eine weiterhin ungewisse Zeit.

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